Das Vermächtnis des Hans Lorenz Petersen
Die Gezeitentrommel, Jahrgang 1958
Durch Unterschätzung von Gefahr kam es wieder und wieder zu tragischen Unfällen durch Ertrinken bei der Überwanderung zur Insel Neuwerk, die der Cuxhavener Küste im Wattenmeer vorgelagert ist. Die Gezeitentrommel war (und ist) ein einfaches und sicheres Instrument zum Gelingen einer gefahrlosen Überquerung. Insbesondere dazu erdacht, den zahlreichen Strandurlaubsgästen, die den Tapetenwechsel suchen, daher mit Landverstand an die See reisen, den Aufenthalt zum vollständigen Genuss hin zu erhellen: Der Fußmarsch „über das Wasser“ nach Neuwerk gilt auch heute noch als begehrte Trophäe für viele Cuxhavenurlauber. Ist es doch gewissermaßen so, als hätte man sich mit dem Meer selbst erfolgreich gemessen. Den einen reizt der Nervenkitzel, den anderen die sportliche Herausforderung eines gut 10 km langen Barfußmarsches über Wattwurm und Muschel, durch Schlamm und oftmals hüfthohe Wasserstände in den Prielen. Gern wird eine Wattwanderung auch als stärkendes Gruppenerlebnis verordnet. Seit Jahrzehnten ist der gemeinsam absolvierte Inselmarsch Bestandteil vieler Klassenreisen. Ob Adrenalindusche oder Pflichtprogramm — nach Neuwerk und zurück soll es gehen, wenn man schon mal in Cuxhaven ist. Ein rundum attraktives Ausflugsziel, mit dem das Nordseeheilbad Cuxhaven selbstverständlich wirbt. Eine Tour (hin oder rück) schafft fast jeder in Kombination mit Wattwagen und/oder Schiff. Der Kurgast wird über die Gefahren informiert, Eigenverantwortung ist gefragt, Informationen stehen zur Verfügung. Doch Wissen schützt vor Torheit nicht! Ignoranz und Bequemlichkeit hinterlassen lautlose Spuren auf dem Weg ins Verderben. Somit wirbt diese Geschichte auch für den respektvollen Umgang mit der Natur und nicht zuletzt für einen verantwortungsvollen Umgang der Menschen untereinander. Also, da war einmal …
Hans Lorenz Petersen, Jahrgang 1898 (bis 1974)
Aus einem bewegten Leben als Familienvater und Zeitzeuge (Weltkrieg I und II) sei hier nichts berichtet, außer dem frühen Bezug zur lebensnahen See. Als Nachfahre seit Generationen gebürtiger Insulaner (Keitum auf Sylt) und aus einer Lotsenfamilie stammend, ist das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Meer stets präsent. Zwei ältere Brüder bleiben im Krieg auf See, der Vater ist beruflich als Lotsenkapitän täglich im Einsatz zu Schiff, mehrere schwere Sturmfluten verheeren die Stadt Cuxhaven … das Verstehen der Gewalten, die beeinflussen, bedrohen, bezaubern und beglücken mag seine berufliche Laufbahn inspiriert haben. Das Meer und dessen Tücken werden ihn zeitlebens begleiten und beschäftigen.

Als Student in Lübeck
Geboren und aufgewachsen in Cuxhaven als jüngstes von 8 Geschwistern bringen ihn Studium und erste Berufsjahre nach Lübeck. Von dort kehrt er 1921 in seine Heimatstadt zurück, gründet eine Familie. Mit Unterbrechung durch die Kriegsjahre 1939-1945, in denen er in Norwegen stationiert war, arbeitet er als Tiefbau-Bauingenieur beim Wasser- und Schifffahrtsamt Cuxhaven. Vor allem ist er für Vermessungen des Wattenmeeres zwischen Cuxhaven und Scharhörn zuständig. Dabei stellt er unermüdlich hervor, dass berechnete Voraussagen in diesem Zusammenhang nur Einschätzungen, daher mit dem nötigen Respekt vor der Überhand der Natur zu bewerten sind. Bereits 1949 beschließt er, den Tod im Watt uneigennützig und konsequent zu bekämpfen. Auf sein Betreiben hin setzt die Stadt erstmalig Markierungen im Watt zur Orientierung für die vielen unerfahrenen Urlaubswattwanderer, die sich regelmäßig durch visuelle Verirrung und Panik im weitläufigen Wattpanorama in lebensbedrohliche Situationen bringen. Zum selben Zweck erstellt er im Jahr 1953 den ersten „Wattenplan“ für die Cuxhavener Kurverwaltung, die sich mit Verleihen einer Ehren-Kurkarte erkenntlich zeigt. Über das Vermessen und Konstruieren hinaus, forscht und findet er — versteht die Zusammenhänge zwischen Himmel und Erde. Das Schicksal des Menschen seiner Tage von Geburt bis Tod beschäftigt ihn in allen Lebensbereichen. Tief berührt und verletzt — wie alle seiner (Kriegs)Erlebnisgeneration Angehörenden — beschreibt und verdichtet er seine Erkenntnisse in mehrbändigen Memoiren. Zudem ist er leidenschaftlicher Hobby-Astronom. Wie eng wirken doch beispielsweise der Mond und das Meer zusammen! Im Ergebnis wird die (von ihm so genannte) Gezeitentrommel stehen. Zu Beginn des Jahres 1958, kaum in den Ruhestand getreten, geht sein geliebtes Denkmodell in einen Prototyp und schließlich in die Serie über.

Hans (Mitte), Eltern und Geschwister

Pressefoto 1959

Pressetext: „Ebbe und Flut aus der Handtasche“ Gerade rechtzeitig für die Badesaison an der See, wo sich die Badelustigen nach Ebbe und Flut richten müssen, hat der Cuxhavener Ingenieur Hans Petersen die Gezeiten-Trommel herausgebracht. Einmal am Tag muss diese neuartige Uhr gestellt werden, um dann die Gezeiten anzuzeigen. Die in Form einer Handtasche konstruierte Uhr ist aufklappbar und hat im Innern noch Platz für Kleinigkeiten.
Um die Produktion seiner im Frühjahr 1958 fertiggestellten Konstruktion anzuschieben, tritt Hans Petersen den Gebrauchsmusterschutz per 1. Januar 1959 ohne Kostennote an den Bremerhavener Dosenfabrikanten „Lubeca“ ab, der nun in der Cuxhavener Niederlassung neben Fischkonserven auch die „Gezeitentrommeln“ produzieren und vertreiben möchte. Ausgehandelt wird, dass ein Mindestabsatz von 10.000 Stück p.a. wirtschaftlich sei, eine geringere Verkaufsmenge voraussichtlich allerdings zu einer Beendigung des Geschäftsverhältnisses führe. Das Bewerben des Produktes obliegt dem Erfinder. Begeisterung und Zuversicht aus dem fachlichen Lager beflügeln die Umsetzung. Alles wird auf eine Karte gesetzt. Die 24-jährige Tochter Christel gibt ihre Anstellung auf, um die Familiensache zu unterstützen. Fortan will sie Vaters Technik statt Parfümeriewaren verkaufen. Nun muss das nützliche, praktische und schöne Cuxhaven-Urlaubs-Souvenir schnell ins kurgastliche Angebot. Die „Tidenuhr“ oder „Wattdose“, wie manches Zeitungsblatt dieses kuriose Ding nennt, dient auch als wasserdichter Behälter mit Handgelenkband für Lippenstift und Puder (für die Dame) und Portemonnaie und Armbanduhr (für den Herren), ideal bei Wattwanderung inklusive Bad im Priel. „Das Ei des Kolumbus für Wattwanderer“ sei erfunden worden, schreibt gar eine Aachener Zeitung und findet, dies sei ein „Gerät“, das sich sicher durchsetzen wird. Mit Präsentation auf der ACHEMA (Technik-Messe) in Frankfurt im Sommer des Jahres 1958 wird die überregionale Presse aufmerksam und viele große Tageszeitungen berichten über den Cuxhavener Konstrukteur und seine ebenso pfiffige wie sinnvolle Erfindung.
Mit Beginn der Sommersaison 1958 führen einige Souvenierläden, Drogerien und Kurzwarenhändler die Gezeitentrommel im Sortiment. Hauptstützpunkt für Promotion ist ein eigener Stand mitten im Urlaubsgetümmel auf der Strandpromenade in Döse. Auf einer überdimensionalen, drehbaren „Wattenscheibe“ aus bunt lackiertem Holz erklärt hier eine attraktive, junge Frau — Hans` Tochter — den Interessierten anschaulich Vorteil und Funktionsweise der Gezeitentrommel. Diese kann an Ort und Stelle für 4,80 DM erstanden werden, optisch ein wahres Schmuckstück, das perfekte Souvenir. Vertrieb und Produkt kamen an, und Hans freute sich, denn das Gute und Nützliche — es ging bei vielen ein. Doch wie sah es mit dem nötigen Ernst aus? Eigentlich müsste jeder Kurgast die Dose mit sich führen und benutzen. Doch viele wollen sich nicht hineindenken in den runden Rechenschieber. Ist ihnen nicht klar, dass sie unter Umständen lebenswichtige Informationen in den Händen halten? Das Wattenmeer glitzert einladend im Sonnenschein, zu unbeschwert ist die Urlaubsstimmung. Es wäre doch gut, wenn … Weiterlesen